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Das Invaliden
und Hinterbliebenenversorgungsgesetz

25. April 1919 — Österreichischen Parlament, Wien, Österreich

 

Hohes Haus! In der Gesetzes-vorlage, die zur Debatte steht, ist die Rede von den Kriegsopfern im allgemeinen und dabei natürlich auch von den Staats- bürgerinnen, wie das im ersten Absatz erwähnt ist. Es ist sehr be- dauerlich, daß in diesem Gesetze auch von weiblichen Kriegsopfern die Rede sein muß. Wir wissen ja, auf welche Art das zustande gekommen ist. Nun können in diesem Gesetze leider nur diejenigen Frauen bedacht werden, die direkte Kriegsopfer sind; es kön- nen aber nicht alle diejenigen Frauen berücksichtigt werden, die in der langen Kriegszeit an ihrer Gesundheit und an ihrer Existenz Schaden gelitten haben. Es sind in diese Vorlage leider nicht aufzunehmen gewesen alle jene Frauen, die durch die Not des Krieges im Hinterlande Schaden gelitten haben, und dieser Schaden ist gewiß ganz ungeheuer, wenn man in Betracht zieht, daß dadurch Leben und Gesundheit der ganzen kommenden Generation in Frage gestellt worden ist.

Sehr zu bedauern sind außerdem alle jene Opfer des Krieges, die es werden mußten — das ist ein ganz besonderes Kapitel altösterreichischer Kriegsführung —, jene Frauen, die im Kriege mitbeteiligt waren nicht nur im Sanitätsdienst und sonst bei Hilfeleistungen, sondern wir denken da an diejenigen Frauen, die seinerzeit über Aufforderung der obersten Heeresleitung zur Armee im Felde geholt worden sind. Diejenigen unter ihnen, die an Körper und Gesundheit Schaden gelitten haben, werden wahrscheinlich auch die entsprechende Entschädigung bekommen müssen. Von all denjenigen aber, die aus diesen Stellungen, in die man sie geholt hat, zurückgekommen sind und einen Schaden gelitten haben, der heute gar nicht festzustellen ist, der aber für die zukünftige Generation ganz uner- messlich sein kann, von diesen Kriegsopfern unter den Frauen konnte in diesem Gesetze natürlich nicht die Rede sein. Aber, werte Herren und Frauen dieses Hauses, wenn hier über ein Gesetz gesprochen wird, das die Opfer des Krieges behandelt, so muss an dieser Stelle gesagt werden, daß mit den Kräften der Frauen im Kriege ganz genau so Raubbau getrieben worden ist, wie das mit den Kräften der Männer geschehen ist. Daher soll einmal von dieser Stelle aus daran gedacht werden, was den Frauen für das als Entschädigung zuerkannt wer- den müsste, was sie ihrem Vaterlande zum Opfer gebracht haben. Alle diese Frauen können hier in diesem Gesetze nicht bedacht werden.

Sehr zu begrüßen ist, daß nach dieser Gesetzesvorlage alle jene Frauen Entschädigung bekommen sollen, die durch den alten Staat und auch durch das Rote Kreuz — das muß man hier sagen — bei der Hilfeleistung während des Krieges gar nicht in Betracht gezogen worden sind. Es ist zu uns eine Anzahl von Schwestern gekommen, die durch den Beruf, den sie ergriffen haben als Hilfskräfte bei der Armee im Felde, invalid geworden sind; es sind Frauen zu uns gekommen, die arbeitslos und gänz- lich mittellos gewesen sind, weil weder das Rote Kreuz noch sonst eine Stelle aufzufinden gewesen war, die auch nur Medikamente beigestellt hätte für die bedauernswerten Frauen, die Schaden ge- nommen haben bei der Hilfe, die sie im Kriege ge- leistet haben. Das ist tief zu bedauern gewesen, und es ist nun sehr zu begrüßen, daß diese Frauen auch bei diesem Gesetze in Betracht kommen, wo es sich darum handelt, Ansprüche auf Entschädi- gung zu stellen.

Nun, geehrte Herren und Frauen, möchte ich nur ein paar Worte zu dem Paragraphen sagen, der davon spricht, daß die Lebensgefährtin auch in den Bezug von Renten gelangen kann. Hier ist von ein- zelnen der geehrten Herren Vorredner — ich habe mir leider die Namen nicht gemerkt — von „sogenannten“ Lebensgefährtinen gesprochen worden.
 
Einmal ist auch verlangt worden, daß man diese „Lebensgefährtinnen“ gar nicht gelten lassen soll und daß man, wie einer der Herren Redner wörtlich gesagt hat, in einem Staate, wo die Religion nicht mehr beachtet werden kann und nicht mehr geachtet wird, damit rechnen muß, daß dieser Staat zugrunde geht. Nun, hohes Haus, diese Äußerung ist zu einer Stelle in diesem Gesetze gemacht worden, bei der es wahrhaftig kein einziger Mann, weder ein Mann noch eine Frau, nicht ein Sozialdemokrat, nicht ein Christlichsozialer, nicht ein Großdeutscher oder ein irgendwelcher Partei Angehöriger, kein Mensch ohne Unterschied des Geschlechtes, ohne Unterschied der Konfes- sion, wagen würde oder wagen könnte, in dem Augenblick, wo man den Kriegsopfern eine Entschädigung angedeihen lassen soll, zu sagen, die verdienen es nicht, weil sie nicht gesetzmäßig verehelicht sind.

Wenn nun einer der geehrten Herren Vorredner gesagt hat, dann muß der Staat zugrunde gehen, ja, geehrte Anwesende, wenn sonst nichts über dieses Land gekommen wäre, als das Verhältnis, das eine engherzige und lieblose Gesellschaft mit dem Worte „Konkubinat“ zu bezeichnen beliebt, wenn sonst nichts über diesen Staat ge- kommen wäre als diese Art von Lebensgemeinschaften, dann könnten wir ruhig sein, wir stünden dann heute nicht hier, um ein solches Gesetz zu beschließen, in dem das mindeste, was man diesen Opfern geben kann, gesetzmäßig festgelegt werden soll. Ich glaube, daß es nicht angebracht ist, in einem Augenblicke, wo man solche Renten beschließt, einen Unter- schied zu machen zwischen denen, die gesetzmäßig getraut sind, und denjenigen, die es nicht sind. Ja, dieselbe Gesellschaft, die da so verurteilt, wendet sich mit äußerster Energie dagegen, daß einer großen Anzahl von Leuten, die geneigt wären, sich zu ehelichen, die Möglichkeit gegeben werde, das zu tun. Es ist unzweifelhaft, daß man in diesem Gesetze davon reden muß, daß auch Lebensgefährtinnen in diesen Rentenbezug gelangen können, denn es sind leider die meisten davon wahrscheinlich solche, denen die Gesellschaft es nicht ermöglicht hat, zu heiraten, ehe die Männer ins Feld gezogen sind.

Wir halten es daher für ganz unmöglich, verehrte Herren und Frauen, daß man in diesem Gesetze bei der Zuerkennung der Renten zwischen verehelichten und nichtverehelichten Personen unterscheiden könnte.

Ohne weiteres zustimmen kann man der Anregung des Herrn Abgeordneten Kittinger, daß im Falle der Verehelichung mit einem Kriegsbeschädigten der Rentenbezug weiter gewährt werden soll. Dagegen wird wohl niemand etwas einzuwenden haben und ich kann das wohl namens der Partei, der ich angehöre, auch ruhig erklären. Damit möchte ich über den Rentenbezug der Nichtverheirateten gesprochen haben.

Bei den Waisen hätten wir es natürlich, so wie bei allen übrigen Rentenbemessungen, sehr gerne gesehen, wenn hier höhere, viel höhere Bezüge festgelegt worden wären. Denn diejenigen Herren und Frauen, die das Gesetz ausgearbeitet, besprochen und schließlich im Ausschuß beschlossen haben, sind wohl alle ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit der Meinung gewesen, daß man diesen so tief beklagenswerten Opfern überhaupt gar nicht soviel geben kann, vor allem keine materielle Entschädigung in der Höhe, wie es ihnen zukäme. Die materielle Entschädigung ist ja durch die große Armut des Staates beschränkt, den der Krieg in die Lage gebracht hat, in der er sich eben befindet. Vielleicht, hohes Haus, wird sich später einmal die Möglichkeit ergeben, wenn wir, die Überlebenden, durch unsere Arbeit und durch unsere Tatkraft, zu der wir uns zusammenschließen müssen, aus diesem armen Staate einen Staat gemacht haben, der doch wenigstens zu einem annehmbaren Wohlstand gelangt ist — wir hoffen, daß dies bald sein wird — diese Renten so zu erhöhen, wie es den Verhältnissen entsprechen wird, in denen wir uns dann befinden werden.

Ich kann nur sagen, alle diejenigen, von denen dieses Gesetz handelt, sind Opfer, die wir auf das allertiefste beklagen. Wir bedauern es sehr, ihnen nicht mehr bieten zu können, um ihnen den Unterhalt irgendwie zu ermöglichen. Wir alle sind aber wohl darin einig, daß wir sie mit allen Kräften unterstützen werden, die die Überlebenden dieses Krieges aufbringen können, um jenen, die durch den Krieg zu Schaden gekommen sind, zu helfen soweit es nur möglich ist.

 

 

Quelle:  Parlement Republik Österreich, 11. Sitzung am 25. April 1919; S. 290-291.

 

So: “Frauen im Parlament.” Parlamentsdirektion, Redaktion: Susanne Roth, Ulrike Felber, (Wien: Parlamentsdirektion,) 2019, S. 12-13.