Die Verpfändung des Tabakmonopol
30. Jänner 1920 — Österreichischen Parlament, Wien, Österreich
Hohes Haus! Gestatten Sie mir, dass ich zum Paragraphen 4 einige Worte verliere. Dieser Paragraph hat unter den Arbeitern und Angestellten der Tabakregie die größte Erregung und Beunruhigung hervorgerufen. Es haben sich zwar viele Mitglieder des Finanz — und Budgetausschusses diese Aufregung nicht erklären können, weil sie meinten, dass die Rechte der Angestellten und Arbeiter im Gesetze ja genügend festgelegt sind. Trotz alledem aber waren sich die Angestellten und Arbeiter nicht ganz klar und sie legten großes Interesse an den Tag, diesem Gesetze eine andere Fassung zu geben. Sie wussten, dass der Staat keinen anderen Ausweg habe, dass er gezwungen sei, das Tabakmonopol zu vergeben. Sie wussten, dass das alles nur eine Folge des Friedensvertrages von St. Germain ist, der wieder eine Folge dieses fürchterlichen Krieges ist. Die Arbeiter und Angestellten wollten daher nur das eine gesichert wissen, dass bei dieser Verpachtung des Tabakmonopols ihre Rechte, die sie früher gesetzlich und vertragsmäßig erworben hatten, genau festgelegt werden. Die Tabakarbeiterschaft war im alten Staate in keiner rosigen Lage. Aber Kraft ihrer Organisation haben sich die Arbeiter und Angestellten dieser Betriebe endlich eine Stellung geschaffen, in der sie dann etwas festeren Boden unter ihren Füßen hatten. Es wurde nicht alles, was sie errungen haben, gesetzlich festgelegt, aber es wurde vieles durch Verträge und Vereinbarungen gesichert, was den Arbeitern und Angestellten zum Wohle gereichte. Bei der Frage der Verpachtung des Tabakmonopols nun ging ein Schrecken durch alle, weil sie ihre schwer errunge- nen Rechte, all das, was sie sich so bitter erkämpfen mussten, nun vielleicht wieder mit einem Schlage verloren glaubten. Es war nämlich die Befürchtung entstanden, dass infolge dieses Vertrages die Arbeitsordnung, die Disziplinarordnung, in denen auch die Aufnahms — und Entlassungsbedingungen usw. begründet sind, für die Arbeiterschaft außer Wirksamkeit gesetzt würden.
Ich weiß, dass die Leute unberechtigterweise gezittert haben, dass sie vielleicht ihre Verdienstund Arbeitsmöglichkeiten verlieren könnten. Aus diesem Grunde möchte ich auch konstatieren, dass es nicht zutrifft, was in diesem Hause immer und immer wieder erwähnt wird, dass in Österreich niemand arbeiten will und die Arbeiterschaft arbeitsscheu ist; denn hier hat sich im Gegenteil gezeigt, wie aufgeregt und verängstigt alle diese Bediensteten waren, nur um das eine erzielen zu können, dass sie sich die Arbeitsgelegenheit sichern, die Ihnen und Ihren Familien Brot schafft.
Hohes Haus! Dank den Vorarbeiten des Ausschusses und dem Entgegenkommen der Regierung ist es gelungen, der Fassung des Paragraphen 4 des Gesetzes eine andere Deutung zu geben, die für die Allgemeinheit leichter verständlich ist. Aber trotz alledem möchte an ich an dieser Regierung den dringenden Appell richten, im Sinne der Fassung des Paragraphen 4 die Rechte der Angestellten und der Arbeiterschaft zu schützen und zu waren. Die hohe Regierung möge dafü4 sorgen, dass die Arbeiterschaft und die Angestellten dieser Betriebe nicht der ausländischen kapitalistischen Ausbeutung wehrlos ausgeliefert werden sondern die Regierung möge ihre ganze Kraft und ihre ganze Autorität, ihren ganzen Einfluss, der ihr zu Gebote steht, dahin wirken lassen, den Angestellten und Arbeitern nicht nur alle gesetzlichen, sondern auch alle vertragsmäßig vereinbarten Rechte in vollstem Ausmaße zu waren.
Quelle: Parlement Republik Österreich, Der 58. Sitzung am 30. Jänner 1920; S. 1668-1669.
So: “Frauen im Parlament.” Parlamentsdirektion, Redaktion: Susanne Roth, Ulrike Felber, (Wien: Parlamentsdirektion,) 2019, p. 21.