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Freie und Gleiche

19. Februar 1919 — Neu gewählten Nationalversammlung, Weimar, Deutschland

 

Meine Herren und Damen!

Es ist das erstemal, daß in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, daß es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürgerinnen. Gemäß ihrer Weltanschauung konnte und durfte eine vom Volke beauftragte sozialistische Regierung nicht anders handeln, wie sie gehandelt hat. Sie hat getan, was sie tun mußte, als sie bei der Vorbereitung dieser Versammlung die Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannte.

Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.

Wollte die Regierung eine demokratische Verfassung vorbereiten, dann gehörte zu dieser Vorbereitung das Volk, das ganze Volk in seiner Vertretung. Die Männer, die dem weiblichen Teil der deutschen Bevölkerung das bisher zu Unrecht vorenthaltene Staatsbürgerrecht gegeben haben, haben damit eine für jeden gerecht denkenden Menschen, auch für jeden Demokraten selbstverständliche Pflicht erfüllt. Unsere Pflicht aber ist es, hier auszusprechen, was für immer in den Annalen der Geschichte festgehalten werden wird, daß es die erste sozialdemokratische Regierung gewesen ist, die ein Ende gemacht hat mit der politischen Unmündigkeit der deutschen Frau. Durch die politische Gleichstellung ist nun meinem Geschlecht die Möglichkeit gegeben zur vollen Entfaltung seiner Kräfte. Mit Recht wird man erste jetzt von einem neuen Deutschland sprechen können und von der Souveränität des ganzen Volkes. Durch diese volle Demokratie ist aber auch zum Ausdruck gebracht worden, daß die Politik in Zukunft kein Handwerk sein soll. Scharfes, kluges Denken, ruhiges Abwägen und warmes menschliches Fühlen gehören zusammen in einer vom ganzen Volke gewählten Körperschaft, in der über das zukünftige Wohl und Wehe des ganzen Volkes entschieden werden soll.

Der Herr Ministerpräsident hat in seinem Regierungsprogramm einen Ausblick gegeben für unser Arbeiten in der Zukunft. Er hat aber auch zu gleicher Zeit einen besonderen Ausblick gegeben für das Wirken der Frauen im neuen Deutschland. Er hat uns weite hoffnungsvolle Perspektiven gegeben für unser Arbeiten. Ich möchte hier sagen, daß die Frauenfrage, so wie sie jetzt in Deutschland, in ihrem alten Sinne nicht mehr besteht, daß sie gelöst ist. Wir werden es nicht mehr nötig haben, mit Versammlungen, mit Resolutionen, mit Eingaben um unser Recht zu kämpfen. Der politische Kampf, der immer bestehen bleiben wird, wird sich von nun an in anderen Formen abspielen. Innerhalb des durch Weltanschauung und selbstgewählte Parteigruppierungen gezogenen Rahmens haben wir Frauen nunmehr Gelegenheit, unsere Kräfte auswirken zu lassen.

Aber damit begeben wir uns nun keineswegs des Rechts, andersgeartete Menschen, weibliche Menschen zu sein. Es wird uns nicht einfallen, unser Frauentum zu verleugnen, weil wir in die politische Arena getreten sind und für die Rechte des Volkes mitkämpfen. Kein Punkt des neuen Regierungsprogramms ist da, an dem wir sozialdemokratischen Frauen ohne Interesse wären.

Ich begrüße es ganz besonders, daß im Regierungsprogramm bekundet wird, daß auch das Verwaltungswesen demokratisiert werden soll, so daß in Zukunft den Frauen auch Gelegenheit gegeben sein wird, mit in alle offenstehende Ämter einzutreten.

Ich betrachte den Punkt des Arbeitsprogramms, der da sagt: Heranziehung der Frauen zum öffentlichen Dienst, entsprechend den auf allen Gebieten vermehrten Frauenaufgaben, nur als eine Konsequenz des jetzt gegebenen Zustandes. Ich bringe diesem Passus durchaus kein Mißtrauen entgegen, sondern betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, daß auch in der neuen Verfassung, die wir mit schaffen helfen werden, die Frau als gleichberechtigte und freie Staatsbürgerin neben dem Manne stehen wird. Ich wünsche ganz besonders, daß bei den jetzt schon fälligen Aufgaben im Verwaltungswesen die Frauen mit herangezogen werden, und denke dabei in allererster Linie an eine Stelle, die nach meinem Dafürhalten im Arbeitsamt des Reiches einrichtet werde müßte, wo Frauen selbständig arbeiten, bei der Witwen — und Waisenfürsorge, bei der Regelung der Fürsorge für Kriegshinterbliebene. Das ist ein Gebiet, in welches die Frauen einfach hineinpassen und hineingehören nach ihrer ganzen Veranlagung und wo sie für das Wohl das Volkes Ersprießliches leisten können.

Wir Frauen werden mit ganz besonderem Eifer tätig sein auf dem Gebiet des Schulwesens, auf dem Gebiet der allgemeinen Volksbildung, und ich glaube, hier aussprechen zu dürfen, daß die Mütter es ganz besonders begrüßen müssen, daß auch nun wir Frauen Gelegenheit haben werden, unsere Kinder den Bildungsanstalten zuzuführen, welche das neue Deutschland ihnen öffnen wird.

Die gesamte Sozialpolitik überhaupt, einschließlich des Mutterschutzes, der Säuglingsund Kinderfürsorge, wird im weitesten Sinne Spezialgebiet der Frauen sein müssen. Die Wohnungsfrage, die Volksgesundheit, die Jugendpflege, die Arbeitslosenfürsorge sind Gebiete, an denen das weibliche Geschlecht besonders interessiert ist und für welche das weibliche Geschlecht ganz besonders geeignet ist.

Hier möchte ich einflechten und glaube, damit einem Wunsche weiter großer Kreise Ausdruck zu geben: es ist jetzt schon im Moment bitter notwendig, daß die Bezüge unserer Alters — und Invalidenrentner aufgebessert werden. Es ist absolut keine Kategorie von Menschen da, die so unter der Not des Krieges, unter dem Elend, den Folgeerscheinungen des Krieges leiden muß, wie diese Ärmsten und Bedauernswerten.

An einem gesunden Aufbau unseres Wirtschaftslebens sind wir Frauen gleicherweise interessiert wie die Männer und jede einzelne Frau wird in ihrer Partnergruppe nach ihrer Weltanschauung das Beste dazu geben, daß wir wieder zu einer Gesundung unseres Wirtschaftslebens kommen. Wissen doch gerade wir Frauen und Mütter am besten, was auf dem Spiele steht, wenn es uns nicht gelingt, uns wieder aus diesem Elend zu erheben, in dem wir uns jetzt befinden.

Wir Frauen sind uns sehr bewußt, daß in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wir wissen, daß hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewußtester Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.

Zu all diesen Dingen, die wir uns vorstellen, hat die Umgestaltung unserer Staatsform zur Demokratie uns die Wege geöffnet. Jetzt heißt es, diese Wege zu beschreiten und das zu schaffen, was zum Glück unseres Volkes in der Zukunft notwendig ist. Zum Glück dieses Volkes, zur vollen Befreiung des Volkes ist aber notwendig, daß alle Parteien wissen, worauf es in jeder Stunde ankommt, und da möchte ich ganz besonders sagen, daß wir den Zug der Zeit nicht aufhalten dürfen, daß wir nicht bremsen dürfen, sondern immer mit vorwärtsschreiten müssen, daß wir den Strömungen der Zeit ein psychologisches Verständnis entgegenbringen müssen.

Diese Strömungen, die aus der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung geboren werden, sind lange genug mit Gewalt, mit starrer Gewalt, die in unserem alten System wurzelte, zurückgehalten worden und konnten nicht zur Entfaltung kommen, bis es explodierte. Es ist hier in der politischen Debatte so manches gesagt worden, was mich zum Widerspruch reizte und zum Nachdenken gebracht hat.

Herr Graf v. Posadowsky hat zum Beispiel hier die Frage gestellt: Was ist unter Junkernherrschaft zu verstehen? Das weiß alle Welt mit Ausnahme einer ganz kleinen Gruppe, die sich bisher gegen dieses Wissen verschlossen hat. Ich möchte Herrn Graf v. Posadowsky-Wehner den Rat geben, einmal bei den deutschen Frauen anzufragen, was man unter den Junkern bisher in Deutschland verstanden hat und auch noch heute versteht. Dieses freieste Wahlrecht, unter dem diese Nationalversammlung gewählt worden ist, hat die Stärke der Gruppe des Herrn Grafen v. Posadowsky und seiner Freunde gezeigt, und wir alle wissen — und es hat mich gewundert, daß es niemand bisher hier gesagt hat —, daß auch unter dem demokratischen Wahlrecht zum Deutschen Reichstag es nicht möglich gewesen ist, der Volksmehrheit so zu ihrem Rechte zu verhelfen, wie es eigentlich hätte sein müssen, weil unsere Auffassung das nicht zugelassen hat. Der Einfluß der Junker war stets stärker, als er ihnen zahlenmäßig gebührte. 

Es ist weiter von Herrn Graf v. Posadowsky gefragt worden, warum wir uns diesen Waffenstillstand haben gefallen lassen. Die Antwort ist bisher in diesem Hause schon gegeben worden, aber ganz kurz will ich meine Meinung dazu sagen. Der Herr Graf v. Posadowsky und seine Freunde wissen ganz genau, warum wir uns diesen Waffenstillstand gefallen lassen müssen. Weil dieser Krieg durch ihre Politik bis zum moralischen Zusammenbruch unseres Volkes geführt hat. Und die Revolution! Ja, meine Herren, Sie werden diese Revolution nicht verstehen, Sie werden sie niemals buchen als das, was sie ist, eine geschichtliche Tatsache, die herauswachsen mußte aus denVerhältnissen, zu denen Sie getrieben haben.

Wilsons Urteil früherer Zeit ist hier angeführt worden. Warum wird es dann nicht in Vergleich gestellt mit dem, was Wilson jetzt sagt? Das ist doch das Maßgebende, daß er nicht verhandeln und nicht Frieden schließen wollte mit einer Regierung, die nicht aus der Demokratie hervorgegangen ist. Nicht, was vor vier Jahren gesagt worden ist, sondern was gesagt wurde mit Bezug auf die heutigen Zustände, das ist das Maßgebende, nach dem man sich richten muß.

Es ist die Frage gestellt worden, woher denn plötzlich die vielen Feinde gekommen seien, mit denen Deutschland zu rechnen hatte. Es ist gesagt worden, der Deutsche sei vor dem Kriege geehrt und geachtet gewesen. Ja, eine Gegenfrage: War das nicht Selbsttäuschung, sind diese Feinde nun plötzlich aus dem Boden herausgewachsen, nachdem der Krieg da war, oder ist es nicht vielleicht so, daß das, was gedacht und gefühlt worden ist, nunmehr zum Ausdruck kam? Preußen-Deutschland hatte keine Sympathien im Ausland das hat uns der Krieg gezeigt. Wenn wir dafür sorgen helfen, daß Deutschland wieder zu vernünftigen Zuständen kommt, daß Deutschland wieder das Land wird, in dem alle seine Bewohner Gerechtigkeit genießen und sich wohlfühlen können, wenn wir aufgrund demokratischer Verhältnisse zu anderen Zuständen kommen, als wir sie heute haben, vielleicht ist es dann einmal möglich, eine geachtete Stellung im Ausland zu bekommen, aber mit einer ganz anderen Politik, als sie unter dem alten Regiment mit Ihrer Hilfe gemacht worden ist.

Herr Graf Posadowsky sagte, die staatliche Ordnung wäre jetzt gestört, alle öffentliche Ordnung läge darnieder. Mord, Raub, Plünderung, Diebstahl, Verbrechen aller Art wären an der Tagesordnung. Wie war es denn im Kriege? Hat denn das alte Regiment vermeiden können, daß täglich neue Plakate an die Litfaßsäulen unserer Großstädte geschlagen wurden, worin 100 000, 50 000, 20 000 und 10 000 Mark Belohnung ausgesetzt wurden für Diebe, Räuber, Mörder aller Art. Ist das eine Erscheinung, die erst jetzt aus den revolutionären Zuständen herausgewachsen ist, oder ist es nicht vielleicht so, daß wir all diese schlimmen Zustände infolge des Kriegselends bekommen haben?

Schon zu Anfang des Krieges und während der Kriegsjahre sind ganze Postzüge ausgeraubt worden, und es ist begreiflicherweise nicht alles, was geschehen ist, in die Zeitungen gekommen. Aber all das ist unter dem alten Regiment geschehen. Ich verwahre mich von vornherein ganz stark dagegen, daß ich etwa unsere Beamtenschaft verunglimpfe, wenn ich hier feststelle, daß auch Beamte an dieser Ausplünderung ganzer Eisenbahnwaggons mit beteiligt waren. Ich will nur feststellen, daß sich auch unter dem alten Regiment Raub, Mord, Diebstahl und Verbrechen aller Art in so erschreckender Weise gehäuft haben, daß wir wirklich nicht mit Stolz auf die vier Kriegsjahre zurückblicken können.

Ich werte alle diese Erscheinungen rein menschlich; sie sind geboren aus der Not und dem Elend des Volkes. Der Krieg ist kein Jungbrunnen der Moral. Physisch und moralisch hat das Volk unter diesem Kriege ganz ungeheuer gelitten und leidet heute noch unter seinen Folgeerscheinungen. Deshalb soll man nicht wie ein Philister über die verschiedensten Taten, die uns nicht gefallen, herziehen. Man soll von ihnen sprechen und auf Abhilfe sinnen.

Von dem Herrn Grafen v. Posadowsky wurde auch die Unterdrückung der Presse als etwas ganz Neues angeführt. Wir billigen die Unterdrückung der Presse von heute durchaus nicht; das brauche ich nicht besonders festzustellen. Aber wo war denn die Preßfreiheit während des Krieges? Wer erinnert sich nicht der endlosen Zensurdebatten, die wir bis zum Überdruß in den Zeitungen gelesen haben. Wir haben niemals einen Erfolg der vielen Proteste zu sehen bekommen, bis das alte System zusammengebrochen ist. So lange hatten wir auch die schimpfliche Knebelung der Presse auch in politischer Beziehung. Die Zeitungen der verschiedensten Richtungen, auch die Zeitungen Ihrer Partei haben ja bitter darüber Klage geführt. Deshalb mutet es heute ganz besonders an, wenn gerade Herr Graf v. Posadowsky als Ihr Vertreter sich über die Knebelung der Presse beklagt. Wir stellen die Freiheit der Presse und die Freiheit der Versammlungen über alles.

Während des Krieges aber ist es hundertfach vorgekommen, daß auch Abgeordnete des Reichstags aufgefordert wurden, die Manuskripte ihrer Beiträge in Versammlungen einzureichen, und daß sie mit einer Unmenge behördlicher Schikanen kämpfen mußten. Dem Tüchtigen freie Bahn, das ist die Parole, die wir auch zu jeder Zeit anerkennen. Aber es ist in Preußen-Deutschland nicht so gewesen, wie er Herr Graf v. Posadowsky es hier hat hinstellen wollen. Wo waren denn die sozialdemokratischen Schöffen und Geschworenen, wo hatte man den sozialdemokratischen Lehrer gefunden in dem Lande, in dem nicht einmal ein sozialdemokratischer Nachtwächter angestellt werden konnte. Ein Aufatmen ist durch die Reihen der Beamtenschaft und der Lehrer am 9. November gegangen. Das können wir am allerbesten beurteilen. Die Tausende von Zuschriften, die wir bekommen haben, die vielen Anmeldungen für unsere Bewegung, die wir aus diesen Kreisen erhalten haben, sind uns ein Beweis, und das Gros der Beamtenschaft zweifelt gar nicht daran, daß sie unter der neuen Regierung und unter dem neuen System sich zweifellos auch wirtschaftlich besserstehen werden.

Die Sozialdemokratie hat es in der Zeit ihres Wirkens, schon bevor sie eine solche Machtstellung eingenommen hat wie heute, bewiesen, daß sie die Interessen der Beamtenschaft wohl zu wahren weiß. Ähnlich verhält es sich mit dem Mittelstand. Die Beamtenschaft ist politisch geknebelt worden, und die warmen Befürworter des Mittelstandes, sie haben ihre Machtstellung in der Vergangenheit mit dazu benützt, auch den Mittelstand vor ihren Wagen zu spannen, indem sie ihn wirtschaftlich in Fesseln schlugen. Die einfachen und mittleren Verhältnisse, aus denen die höheren Staatsbeamten hervorgegangen sind, mit denen ist es auch nicht allzuweit her. Ich habe nicht oft davon gehört, daß Söhne und Töchter von Arbeitern und Taglöhnern in höhere staatliche Dienste genommen worden wären. Welche Geheimräte, welche Landräte, welche Regierungspräsidenten, welche Staatssekretäre und Minister sind denn unter dem alten System aus so einfachen Verhältnissen hervorgegangen? Können Sie solche nennen? Ich bezweifle es.

Hatten wir Offiziere aus Arbeiterkreisen? Nein, die hatten wir nicht. (Rufe rechts: Giesberts, Erzberger. —Es ist ja wunderbar, wie wir jetzt von allen Seiten Helfershelfer für die sozialpolitischen Arbeiten bekommen, nur sieht man bei all den Vorschlägen, die Sie machen, sehr den Pferdefuß. Es ist der ganzen Welt bekannt, daß es in unserem sozialpolitischen Leben immer so gewesen ist, daß es uns nicht genug war, was geschehen, aber Ihnen stets zuviel.

Wir Frauen können uns ja dessen nur freuen, wenn Sie jetzt plötzlich den Hang verspüren, fruchtbare sozialpolitische Arbeit zu leisten. Wir können dabei ja gar nicht genügend Bundesgenossen bekommen. Wenn alle Parteien bis zum äußersten rechten Winkel hier den starken Willen zur Sozialpolitik bekunden, dann kann es ja mit dieser Fortentwicklung in Deutschland nicht schlecht bestellt sein. Ganz [?] mutet es mich an, als an die bürgerlichen Parteien hier von dem Herrn Grafen das Ersuchen zum Zusammenschluß gerichtet wurde, nach einem so starken Bekenntnis zur Monarchie. Ich habe die Ansicht, daß es ganz konsequent ist nach diesem starken Bekenntnis zur Monarchie, wie es hier abgelegt worden ist, daß Ihre Partei isoliert bleiben muß in diesem Hause.

Es ist selbstverständlich Sache der bürgerlichen Parteien selbst, sich gerade dazu zu äußern, aber ich möchte hierbei doch sagen, da es ganz komisch anmutete, und zwar roch es sehr stark nach der alten Kampfmaxime gegen die Sozialdemokratie. Ich bin überzeugt, daß Sie sich keinen Augenblick bedenken würden, die große Mehrheit des deutschen Volkes auch heute noch nach dem alten Muster zu vergewaltigen, wenn Sie dazu die Macht hätten. Ich möchte noch einiges andere sagen.

Es ist hier von Herrn Haase einiges über die Politik der Unabhängigen Sozialdemokratie ausgesprochen worden. Nach seinem Dafürhalten müssen wir Deutsche stillhalten unter allen Umständen, auch wenn wir sehen, daß — und ich gebrauche mit Absicht dieses so viel benutzte Schlagwort — die Errungenschaften der Revolution kaputtgemacht werden, daß Preßfreiheit und Freiheit der Staatsbürger, Versammlungsfreiheit vernichtet werden, daß der Demokratie mit Maschinengewehren und bedrohlichen Umzügen das Grab gegraben wird. Dazu haben wir nicht den Willen; das Bekenntnis zur Demokratie, welches ich im Anfang meiner Ausführungen hier für uns eingelegt habe, verbietet es uns und macht es uns grundsätzlich zur Unmöglichkeit, die Wege einzuschlagen, wie sie von jener Seite beliebt werden..) Es muß noch einmal festgestellt werden, obwohl es schon des öfteren geschehen ist, daß die Unabhängige Sozialdemokratie die Spartakuspolitik unterstützt hat. Ich erinnere daran, daß zwischen dem 6. und 13. Januar dieses Jahres, als die Presse in Berlin geknebelt war, die Aufrufe, die von der Spartakusgruppe, von den revolutionären Obleuten und von der Unabhängigen Sozialdemokratie unterzeichnet waren, die Volksgenossen, die Arbeiter zur Bewaffnung aufgefordert haben. Ich meine, daß dieses mit dem vielen anderen zusammengenommen, was hier gesagt worden ist, die Rechtfertigung dafür abgibt, daß eine solche Politik von der Sozialdemokratie nicht gutgeheißen werden kann, weil sie all dem widerspricht, was uns in den langen Jahren vor dieser Zeit von den Führern und Führerinnen der Unabhängigen Sozialdemokratie gesagt und gelehrt worden ist, die sich jetzt auf der anderen Seite befinden.

Es ist gesagt worden, in dem Programm der Regierung fehle jeder Tropfen Sozialismus. Darauf möchte ich erwidern, daß es heißt, die Augen vor den Realitäten des heutigen Lebens zu schließen. Wir sind es der Arbeiterschaft einfach schuldig, eine solche Politik zu verfolgen, wie wir es heute tun, weil wir es vor der Masse der Arbeiter, vor den Männern und Frauen und vor unseren Kindern nicht verantworten könnten, wenn wir durch eine derart verkehrte Politik, wie es von jener Seite beliebt wird, dazu beitragen würden, daß alles das, was die Arbeiterschaft in den ersten Novemberwochen sich errungen hat, die Freiheit des Staatsbürgers bis zur letzten Konsequenz wieder verscherzt würde und daß damit dem Fortschritt die Wege wieder verschlossen würden.

Die befreiten Frauen Deutschlands sollten den Söhnen, Vätern, Brüdern, Freunden, die sich in Feindesland befinden, heute hier von dieser Stelle ihre herzlichen Grüße zurufen. Wir bedauern es aufs tiefste, daß sie dort die ganzen seelischen und körperlichen Qualen der Gefangenschaft durchmachen müssen, und wir bedauern die vielen Angehörigen hier in unserem armen unglücklichen Deutschland, die auch heute noch bangen müssen um ihre Lieben da draußen, denen der Krieg noch immer nicht zu Ende gegangen ist, weil sie ihre Lieben noch nicht in die Arme schließen können, weil die Frauen, die hier in Seelenqual um ihre Männer bangen, das Verlangen danach haben, all die Qual der letzten viereinhalb Jahre auszulöschen in den Herzen derer, mit denen sie verbunden sind.

Das soll hier mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht werden. Wir wollen unsere Stimme laut ertönen lassen, damit auch die Frauen in den anderen Ländern, damit die Völker der anderen Länder es hören, daß es deutsche Frauen, deutsche Männer und Frauen sind, die sich innerlich empören gegen dieses furchtbare Unrecht, das uns hier geschieht. (Lebhafter Beifall bei den Soz. und Demokraten. – Zurufe von den Unabhäng. Soz.) Es ist nicht berechtigt, daß man unsere Volksgenossen uns so lange fernhält. Wir wenden uns auch hier an dieser Stelle gegen die furchtbare Blockade, die uns auch heute noch und jede Stunde mit dem Hungertod bedroht. Dieser Hunger, der schon so viele unserer Volksgenossen dahingerafft hat, weicht auch heute noch nicht von unserer Seite, trotzdem der Friede vor der Türe stehen sollte und trotzdem der Völkerhaß heute schweigen müßte, und es ist das Furchtbarste, was die Entente sich heute in dieser Stunde noch zuschulden kommen läßt, daß sie dieses wehrlose deutsche Volk auch noch weiter dem Hunger überliefert, nachdem sie viereinhalb Jahre und länger diese Blockade aufrechterhalten hat.

Unter einziger wirtschaftlicher Reichtum ist unsere Arbeitskraft. Nur vermöge dieser Arbeitskraft und ihrer Anwendung ist es möglich, uns wieder aus diesem tiefen Elend zu erheben. Aber wenn man uns nicht die Nahrungsmittel und unserer Industrie nicht die Rohstoffe gibt, wenn man uns nicht in anderer Weise durch Gewährung von Kredit und anderen Hilfsmitteln entgegenkommt, dann macht man uns dieses Aufrichten so bitter schwer, und die Völker der ganzen Welt benachteiligen sich selbst. Denn was ein Volk leistet in der Welt, kommt dem anderen zugute. Genau so, wie der einzelne Mensch arbeiten muß, um die Volkskraft zu stärken in dem Lande, dem er angehört, so sollten auch die Völker zusammenwirken zu ihrem eigenen Wohl und Besten. 

 

 

Quelle: Die großen Reden der Weltgeschichte, Martin Kaufhold, (Frankfurt a. M: Marixverlag, 2015).