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Die Aufhebung des Adels
der weltlichen Ritter— und Damenor—
den und gewisser Titel u. Würden 

3. April 1919 — Österreichischen Parlament, Wien, Österreich

 

Geehrte Herren und Frauen! Während der Debatte ist aus den Reihen der geehrten Herren Abgeordneten wiederholt der Zwischenruf gefallen: „Juden!”, als ob dieses Gesetz, das hier vorliegt und zur Abstimmung steht, nur ein Ausnahmegesetz gegen die christlichen Adeligen wäre. Darum handelt es sich natürlich nicht. Wenn baronisierte Juden oder meinetwegen fürstliche Juden vorhanden sind, so werden sie selbstverständlich auch durch dieses Gesetz getroffen. Wenn aber die Herren meinen, den Rednern meiner Partei fortwährend die Juden entgegenhalten müssen, so sage ich, wir sind sehr gern bereit, alle baronisierten, alle kapitalisierten Juden zu jeder Handlung Ihnen zu überlassen, so scharf . . .  so scharf und so revolutionär diese Handlung immer sein mag.

Gestatten mir aber die geehrten Herren und Frauen, eine kleine Erinnerung aufzufrischen. Wenn auch von den Tugenden des Adels, von seinen historischen Verdiensten, über die ich mir kein Urteil erlauben will, gesprochen wird, wenn ich auch glaube, daß das dem Volksempfinden entsprechen wird, was Herr Abgeordnete Leuthner über die historische Aufgabe des Adels hier gesagt hat, so möchte ich doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß sehr angesehene, sehr hochgestellte Adelsgeschlechter es nicht verschmäht haben, ihren verblaßten Glanz neu aufzufrischen mit Gold durch Heiraten mit den Töchtern jüdischer Familien zu versehen. Man wird da manche gute, hochgehobene Adelsfamilie feststellen können, deren Schwinden aus der Gesellschaft man nun bedauert.

In der Debatte ist auch das Wort von dem verdienten Beamtenadel gefallen. Geehrte Herren und Frauen! Es liegt mir vollständig ferne, irgendeinem Beamten, mag er was immer für einen Namen tra- gen, mag er wes Standes immer sein, seinen Verdiensten nahezutreten. Es kann aber, wenn auf den verdienten Beamtenadel hingewiesen wird, nicht verschwiegen werden, daß ein großer Teil der unglückseligen Ernährungsverhältnisse Osterreichs von Beginn des Krieges an zum großen Teile durch die Beamten mit verschuldet war, durch die unfähigen adeligen Statthalter, Bezirkshauptleute usw., mit denen Osterreich gesegnet war und gesegnet ist. Auch darüber kommen wir nicht hinweg, daß gegenüber diesen Adligen, höher gestellten Beamten so manche kleine Bauerngemeinde, so manche kleine Industriegemeinde zurückgeschreckt ist, weil in den Herzen und Gehirnen der Bevölkerung die Ehrfurcht, die ersterbende Ehrfurcht vor allem, was den Adelsnamen trägt, großgezogen und vererbt ist durch Jahrhunderte. Und wenn wir heute hier stehen, um zu richten und zu entscheiden, ob wir prinzipiell den Adel abschaffen sollen — das glaube ich kann ich feststellen und das ist ja von nieman- dem bestritten worden — wenn wir also heute darüber zu entscheiden haben, so handelt es sich auch darum, daß die Abschaffung des Adels notwendig ist, weil erst dann — nicht sofort, dessen bin ich mir wohl bewußt, und ich habe ja auch früher davon gesprochen, daß diese ersterbende Hochachtung vor dem Adel durch Jahrhunderte vererbt ist — weil erst dann, wenn der Adel abgeschafft ist, wir wenigs- tens die eine Zuversicht und Gewißheit gewinnen, daß nicht nur durch dieses Gesetz, sondern auch durch Schaffung und Erfüllung anderer Gesetze die Schule neugestaltet, auf eine neue demokratische Grundlage gestellt werden wird und daß durch diese neue Erziehung dafür gesorgt werden wird, daß bei der heranwachsenden Jugend jenes Gefühl der Hochachtung, der Anbetung, der förmlich aber- gläubischen Verehrung des Adels endlich aus der Seele der Menschheit verschwinde.

Nun, meine geehrten Herren und Frauen, wenn von dem Adel gesprochen wird und wenn wir begrün- den sollen, warum wir dazu übergehen, eine ganze Kaste von Menschen — und weil es mir einfällt, so möchte ich da bemerken, wenn vom Stande der Juden gesprochen worden ist, so ist mir das etwas Neues, daß die Juden als Stand anzusehen sind, aller ihrer ererbten Vorrechte zu entkleiden, verlustig zu machen alles dessen, was sie von ihren Vätern her ererbt hat, so möchte ich schon sagen, es steigt die Erinnerung auf, nicht nur an die Dinge, von denen ich schon gesprochen habe, an das Herabsinken des Adels in die Verjudung, in die Verkapitalisierung, in alle jene Eigenschaften, die man dem Stande der Juden nur zumuten will. Wir wollen uns der besitzenden Juden nicht annehmen, wir konstatieren nur die Ideengemeinschaft, die unter diesen beiden möglich ist.

Ich möchte aber noch darauf hinweisen, daß gerade den Kreisen des Adels jene Männer entstammt sind, die auch in diesem Kriege an hervorragender Stelle sich befunden haben. Im Kriege und vor dem Kriege waren es die Träger der Adelsnamen, die die ersten Stellen in der Generalität eingenommen haben. Es waren die Träger der Adelsnamen, im Kriege und manchmal vor dem Kriege die Bevölkerung kennen gelernt hat — verzeihen Sie das harte Wort — kennen gelernt hat als die Schinder an ihren Söhnen, an ihren Kindern, die vielleicht manchmal ausgestattet mit den Vorzügen des wirklichen Adels an Charakter, an Geist und an Herz, entwürdigt wurden in ihrer Manneswürde, mit Füßen getreten wurden durch jene Männer, die den Adel für sich ererbt und gepachtet hatten, die sich förmlich gottähnlich über der anderen Menschheit erhaben gefühlt hatten. Wir erinnern uns daran, was die Söhne des Volkes unter jener Kaste gelitten haben; und wenn wir sagen sollen, ob wir da gerecht sind, so sagen wir: Ja, und die ganze Bevölkerung, wenn sie nicht noch in irgendwelche Vorurteile befangen ist, wird aufjubeln und aufjauchzen, nicht weil wir damit eine Erlösung von dem Elend geben, sondern weil wir wenigstens endlich das von ihr nehmen, daß über das ganze Volk eine Kaste von Menschen gesetzt ist, die durch nichts berechtigt ist, erhaben, hervorgehoben über die ganze andere redliche Menschheit zu sein; denn womit würde es der Adel heute noch verdienen und heute noch rechtfertigen, über der anderen Menschheit zu stehen? Wir sehen Verdienste auf vielen Gebieten; wir wissen was Hunderte, was Tausende, ja, was Hunderttausende gelitten und erduldet haben in dem vergangenen Kriege — und dann vergleichen wir; wir gehen von Familie zu Familie — Arbeiter, Bauern, Bürger — wir gehen in alle Familien, vor allem der kleinen Leute, und suchen dann die Familien des Adels ab, ob sie uns die Waage halten können in den schweren Verlusten an Menschenleben, an Gut und wirtschaftlichen Kräften, ob sie uns die Wage halten können an Opfern, die wir bringen mußten, vielfach auch, wie man gemeint hat, nicht nur zur Verherrlichung des Thrones, sondern auch zur Verherrlichung des Adels, der einem siegreichen Kriege den etwas verblichenen Glanz wieder neu aufgefrischt und mit neuem Nimbus umgeben hätte. Gestern haben wir beschlossen, die Dynastie abzusetzen, die Habsburger auszuweisen. Wenn der Herzog fâllt, dann ist es nur natürlich, daß auch der Mantel nach muß und es ist ganz gerechtfertigt, daß wir heute in diesem Hause den Beschluss faßen, den Adel und alle Vorrechte und alle Privilegien abzuschaffen. Wenn der Herr Abgeordnete Stricker gemeint hat, daß die Strafbestimmung des §2 eine zu milde und zaghafte ist — sehr geehrte Herren und Frauen, wenn Sie das Bedürfnis haben, die Strafbestimmungen zu verschärfen, würde das unsererseits gar keiner Beschränkung unterliegen. Nur zur Todesstrafe können wir nicht greifen, denn die werden wir wohl heute einstimmig abschaffen.

Sehr geehrte Herren und Frauen! Wenn wir nun diesem Gesetze zugestimmt haben, das die Abschaf- fung des Adels und aller Privilegien verfügt, dann werden wir eine Tat begangen haben, die, wenn sie auch keine augenblicklichen wirtschaftlichen Vorteile bringt, doch der Bevökerung zeigt, daß es diesem Hause, das ein Volkshaus sein soll, mit der republikanischen Gesinnung ernst ist und dass wir hier alle von dem Gefühl durchdrungen sind: in der Republik kann es keine Privilegien geben, in der Republik kann es nur Menschen geben, die gleichen Rechtes, gleichen Titels und gleichen Ranges sind, in der Republik ist kein Platz für einzelne Kasten. Die Republik muß die Grundlage schaffen für die Gleichheit aller Menschen, wie sie uns bisher als Ideal erschienen ist, nicht nur in Bezug auf den Titel, sondern die Bevölkerung erwartet von diesem Hause, daß dem gestrigen Gesetz und dem heutigen Gesetze über die Abschaffung des Adels in sehr rascher Folge die Gesetze folgen werden, die auch die Privilegien des Besitzes abschaffen, daß der Abschaffung der Dynastie und der Abschaffung des Adels die Gesetze folgen werden, die es nicht nur verhindern, daß in Zukunft einzelne Kasten bestehen können, die an Ehren und an Würden über der Mehrheit der Menschheit stehen, sondern das auch dem ein Ende gemacht wird, daß einzelnen Kasten oder einzelnen Menschen die Möglichkeit gelassen wird, durch Erwerben von Reichtümern durch anderer Hände Arbeit sich neue Machtpositionen zu schaffen und wenn nicht mehr durch den Adel, so durch das Geld, durch das Kapital über die Massen der Menschheit zu herrschen. Dem einen Privilegium müssen die anderen folgen!

Ich bitte, meine Herren und Frauen, diesem Gesetze zuzustimmen und die Stärke zu haben, alle an- deren Gesetze, die im Interesse der Gleichheit und Gerechtigkeit notwendig sind, baldigst zu schaffen.

 

 

Quelle: Parlement Republik Österreich, der 8. Sitzung am 3. April 1919; S. 189-191.

 

So: “Frauen im Parlament.” Parlamentsdirektion, Redaktion: Susanne Roth, Ulrike Felber, (Wien: Parlamentsdirektion,) 2019, S. 7-8.