Eas Verbot der Nachtarbeit
der Frauen und Jugendlichen
in Gewerblichen Betrieben
4. April 1919 — Österreichischen Parlament, Wien, Österreich
Hohes Haus! Die Frauen, besonders die arbeitenden Frauen, können dieses Gesetz nur begrüßen. Wir sozialdemokratischen Frauen sehen in der Annahme dieses Gesetzes die Erfüllung einer Forderung, die wir schon viele Jahrzehnte hindurch mit Eifer und Nachdruck überall, wo es nur möglich war, gestellt haben. Gegenüber meinem Herrn Vorredner Spalowsky will ich sagen, dass es die Sozialdemokraten, die organisier- ten Arbeiter waren, die auf allen internationalen Arbeiterschutzkongressen mit aller Deutlichkeit und mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln diese Forderungen vertreten haben und dass es nur wünschenswert gewesen wäre, wenn im alten Parlament, in welchem wiederholt Anträge gestellt wurden, die den Schutz der Frauen, insbesondere das Verbot der Nachtarbeit gefordert haben, die Vertreter der Christlichsozialen, die eine starke Partei im alten Parlament gewesen sind, sich mit jener notwendigen Energie und wirklichen Liebe, die heute von Herrn Spalowsky hervorgehoben wurde, für diese Forderung einge- setzt und nicht ruhig zu gesehen hätten, wie diese Forderungen mit dem Hinweis auf den Schutz der Industrie abgelehnt wurden, mit dem Hinweis, dass die Industrie geschädigt werden könnte, wenn die Frauennachtarbeit verboten würde. In Wirklichkeit hat es sich aber nicht um den Schutz der Industrie, sondern um den Schutz des Geldsackes, der Profitrate der Kapitalisten, gehandelt. Wir müssen aber fragen, ob es für die Gesellschaft, für den Staat wichtiger ist, dass die Industrie geschützt und die Nachtarbeit der Frauen aufrechterhalten wird, oder ob es nicht notwendiger wäre, durch das Verbot der Frauennachtarbeit den Menschen zu schützen.
Das Verbot der Nachtarbeit der Frauen ist ein Arbeiterinnenschutz, der gleichzeitig ein Stück Mutterschutz bedeutet. Es wird von allen Ärzten anerkannt, dass die Nachtarbeit auf den Gesundheitszustand der großen Masse der arbeitenden Frauen sehr schädlich wirkt, und wenn die Frau von der Nachtarbeit ausgeschaltet wird, bedeutet das nicht nur einen Schutz für die Frau, sondern auch für die künftige Generation.
Das Gesetz wird wohl momentan bei seinem Inkrafttreten eine große Schichte von Frauen schädigen. Eine Anzahl von Frauen wird durch den Wegfall der durch die Organisation jetzt erzielten besseren Bezahlung der Nachtarbeit im ersten Moment gewiss geschädigt werden. Trotzdem begrüße ich als Frau und als ehemalige Arbeiterin dieses Gesetz als einen Segen für die Frauen und hoffe, dass der Schaden, der momentan einer kleinen Schichte von Frauen zugefügt wird, durch den großen Vorteil, den dieses Gesetz ihnen auf der anderen Seite bringt, wieder aufgehoben werden wird.
Noch mehr zu begrüßen ist das Gesetz vom Standpunkte des Schutzes der Jugendlichen. Wenn das Gesetz ausspricht, dass die Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahre von der Nachtarbeit ausgeschlossen werden sollen, so müssen wir sagen, dass das gewiss eine Bestimmung ist, die schon längst not- wendig war und schon längst hätte in Erfüllung treten sollen. Es ist traurig genug, dass Kinder mit 14 Jahren in den Fabriken und Werkstätten robotten und arbeiten müssen. Bis vor kurzem haben ja die Kinder überhaupt noch zehn, zwölf und noch mehr Stunden arbeiten müssen und sie mussten auch Nachtarbeit verrichten. Es wäre gewiss not- wendig den Schutz der Jugendlichen so weit auszudehnen, dass nicht das 14. Lebensjahr als die Grenze festgesetzt wird, nach der ein Kind zur Arbeit in den Fabriken und Werkstätten für fähig und reif angesehen wird. Aber weil es noch nicht möglich ist, den Schutz der Jugend so weit auszudehnen, dass wir das Kind vor der Ausbeutung schützen können, bis es körperlich genug entwickelt ist, so begrüßen wir es, dass es wenigstens vor der ärgsten Ausbeutung durch eine kurze Arbeitszeit und vor allem durch das Verbot der Nachtarbeit geschützt wird. Ich möchte hier die Regierung bitten, darauf zu achten, dass der Paragraph 4 nicht zum Anlass wird, dass durch Ausnahmen für einzelne Industrien trotzdem dieser Schutz durchlöchert wird und die Jugendlichen zur Nachtarbeit herangezogen werden. Es sind einzelne Gewerbe, die anführen, dass es bei ihnen unmöglich ist, die Jugendlichen nicht in der Nacht arbeiten zu las- sen. Manche begründen dies damit, dass dieses Gewerbe nicht erlernt werden kann, wenn die Jugendlichen nicht auch in der Nacht arbeiten. Das will ich bestreiten. Das einzige Glück ist, dass es Paragraph 4 den Arbeiterorganisationen möglich macht, selbst mitzuberaten und mitzubestimmen, ob wirklich für irgendwelche Gewerbe Ausnahmsbestimmungen zu treffen sind. Wir, die sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen, werden immer bestrebt sein, besonders für die Jugend- lichen die Ausnahmsbestimmungen so gering als nur möglich zu machen. Denn wir gehen von dem Standpunkt aus, dass die Jugendlichen geschützt werden müssen und dass sich alles dem Gesichtspunkte anpassen muss, dass vor allem der Arbeiter, der jugendliche Arbeiter, der Mensch zu schützen ist, dass über allen Bedürfnissen der Industrie die Bedürfnisse des Menschen stehen.
Und so glaube ich, dass wir auf eine Forderung verzichten können, die wir im Ausschusse ge- stellt haben, respektive die von der Kollegin Frau Dr. Burjan gestellt wurde, dass bei der Beratung der Ausnahmsbestimmungen auch die Frauen zu- gezogen werden sollen. Durch die Abänderung des Paragraphen 4 ist diese Bestimmung außer Acht gelassen worden, aber wir sind davon über- zeugt, dass durch die Stilisierung, dass die Arbeitgeber — und Arbeitnehmerorganisationen befragt werden, wir Frauen, die wir in der Organisation, besonders in der Arbeiterorganisation stehen, schon darauf achten werden, dass die Hauptinteressentinnen, die Frauen, bei diesen Beratungen auch ihren Einfluss werden geltend machen können. Deshalb kann ich im Großen und Ganzen als Frau und für meine Partei und meine Kolleginnen dieses Gesetz als eine Segnung und als eine Wohltat begrüßen.
Quelle: Parlement Republik Österreich, der 15. Sitzung am 14. Mai 1919; S. 342-343.
So: “Frauen im Parlament.” Parlamentsdirektion, Redaktion: Susanne Roth, Ulrike Felber, (Wien: Parlamentsdirektion,) 2019, S. 15-16.