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Maßnahmen zur Behebung
des Supplentenelends

30. Mai 1919 — Österreichischen Parlament, Wien, Österreich

 

Hohes Haus! Es war hier wie- derholt die Rede davon und ist auch jetzt von drei Rednern be- tont worden, wie groß das Elend der Supplenten ist; wir können aber nicht stillschweigend darüber hinweggehen, dass es eine ebenso verdienstvolle Lehrerkategorie gibt, deren Elend noch unvergleichlich größer ist, und das sind die Lehrerinnen und Lehrer an den Mädchen-Mittelschulen. Ich möchte nicht, wenn ich das besonders hervorhebe, dass es den Anschein erwecke, als wenn ich das Elend der Supplenten für ein Erträgliches halten würde; es war ja meine Partei, die in dem Budgetausschusse darauf gedrungen hat, dass der hohe Ausschuss sich nicht damit begnüge, an die Regierung bloß eine Aufforderung zu richten, dem Übelstande des Supplentenelends abzuhelfen, sondern dass er den Herrn Referenten Dr. Mayr gebeten hat, sich mit der Regierung ins Einvernehmen zu setzen, damit unverzüglich mit einer Abhilfe vorgegangen werde. Aber diese Abhilfe ist ja auch schon getroffen worden, und der Herr Unterstaatssekretär Glöckl hat uns auch die Versicherung gegeben, dass nicht nur diese Aushilfe gesichert ist, sondern dass auch die ganze Situation der Supplenten auf eine andere Grundlage gestellt werden soll. Umso dringender scheint es mir, zu betonen, dass auch über das noch größere Elend der Lehrerschaft an den Mädchen-mittelschulen nicht hinweggegangen werden darf. Denn wenn es tatsächlich ein erschreckender Zustand ist, dass es Männer gibt, die einen wissenschaftlichen Lehrgang, die Universitätsstudien durchgemacht haben und jetzt sich mit einem Monatsgehalt von 256 bis 333 Kronen begnügen müssen, so ist es doch noch erschreckender, wenn es ebenso hoch qualifizierte Lehrer und Lehrerinnen gibt, die sich mit einem Monatseinkommen von 139, 184 und höchstens 261 Kronen begnügen. Dabei haben die Herren Supplenten den Anspruch, nach acht Jahren definitiv zu werden, sie haben den Anspruch, von je zwei zu zwe Jahren ihre Einkünfte um 10% erhöht zu sehen. Da aber die Mädchen-mittelschulen alle Privatanstalten sind, so haben die Lehrerinnen und Lehrer dort überhaupt keinen Anspruch, weder auf definitive Anstellung, noch auf Erhöhung ihrer Bezüge. Nach dem Ablauf der Supplentenzeit haben die Mittelschullehrer einen Anfangsgehalt von 5.798 Kronen. Das ist unter den heutigen Verhältnissen gewiss eine ein äußerst bescheidenes Jahreseinkommen, aber die Lehrerinnen an den Mittelschulen für Mäd- chen wären glücklich, wenn sie es jemals in einem langen Arbeitsleben überhaupt zu einem derartigen Einkommen brächten. Nun hängt das ja gewiss mit der ganzen Stellung zusammen, die der Staat bisher zu dem Mädchenunterricht eingenommen hat. Er hat die Aufgabe, die Mädchen an Mittelschulen auszubilden, nicht nur vernachlässigt, sondern ganz außer Acht gelassen. Es gibt, wie ich schon hervorgehoben habe, überhaupt nur private Mittelschulen für Mädchen. Bisher hat der Staat nur einige wenige Mädchen-mittelschulen subventioniert, aber auch diese Subventionen waren ganz unbedeutend. Sie haben für das ganze alte Österreich 500.000 Kronen im Jahr ausgemacht und sind während des Krieges noch herabgesetzt worden. Nunmehr aber, da der Staat daran geht, den Frauen die Hochschulen und die verschiedenen Berufe im weiteren Sinne als es jemals der Fall war zu öffnen, drängt sich von selbst die Notwendigkeit auf, auch für den Unterricht an den Mittelschulen zu sorgen. Bisher hat es in Deutschösterreich 147 Mittelschulen für Knaben und eine 39 private Mittelschulen für Mädchen gegeben. Der Staat hat bisher für Knabenmittelschulen 83 mal so viel verausgabt als für Mädchenmittelschulen; im Gegensatz zu anderen Ländern. Wenn das Verhältnis in Deutschösterreich wie 83:1 war, so war es in Preußen in der gleichen Zeit wie 19:2 und in einem Land wie Bulgarien, auf das wir ja als ein halbasiatisches herabzusehen pflegenwie.

Sie sehen, was wir noch alles nachzuholen haben. Dieser Zustand wirkt nicht nur grausam gegen die Lehrerschaft, die gezwungen ist, an jenen privaten Mädchenmittelschulen zu arbeiten, sondern er ist auch vom pädagogischen Standpunkt aus ein durchaus verwerflicher. Wir werden ja in einem anderen Zusammenhang noch Gelegenheit haben, in diesem Hohen Haus über den Unterricht an den Mädchenmittelschulen zur reden; es liegt dem Unterrichtsausschuss derzeit auch ein Antrag vor. Aber es muss hier betont werden, dass die elende Besoldung der Mittelschullehrerschaft, sowohl der Frauen als der Männer, zu den größten Übelständen führt. Die Lehrerinnen, die gezwungen sind, sich einen Nebenerwerb zu suchen, sind außerstande, irgendwie wissenschaftlich zu arbeiten oder sich überhaupt außerhalb der Schule geistig zu betätigen und die Herren, die an den Mädchen- mittelschulen wirken, können das nur, weil sie sonst eine Anstellung an einem Gymnasium haben und nur ihren freien Stunden für den Unterricht an den Mädchenschulen verwenden. Infolgedessen ist ein fortwährender Lehrerwechsel an diesen Schuhen — natürlich, sobald einer der Herren eine bessere Nebenbeschäftigung findet, so lässt er die Mädchenschule im Stich; das ist ein ganz und gar unhaltbarer Zustand.

Es ist selbstverständlich, dass mit einer pekuniären Besserstellung der Lehrerinnen die Frage des höheren Mädchenunterrichtes nicht gelöst werden kann. Der Mädchenmittelschulunterricht wird auf eine ganz und gar neue Grundlage gestellt werden müssen, aber das, um was es sich hier unmittelbar handelt, ist, dem Elend dieser Lehrerkategorie abzuhelfen und der Budgetausschuss hat deshalb eine Resolution gefasst, in der die Regierung aufgefordert wird, die privaten Mädchenschulen neuerlich und höher zu subventionieren, mit der Bedingung, dass diese neue Subvention einzig und allein zur Besserstellung des Lehrkörpers verwendet werden darf. Ich bitte das Hohe Haus dieser Aufforderung seine Zustimmung zu geben.

 

 

Quelle: Parlement Republik Österreich. 8. Sitzung am 30. Mai 1919, S. 481-481.

 

So: “Frauen im Parlament.” Parlamentsdirektion, Redaktion: Susanne Roth und Ulrike Felber (Wien: Parlamentsdirektion, 2019), S. 19-20.